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Es soll Menschen gegeben haben, die, sogleich wenn sie einen Gedanken niederschrieben, auch sogleich die beste Form getroffen haben sollen. Ich glaube wenig davon. Es bleibt allemal die Frage ob der Ausdruck nicht besser geworden wäre, wenn sie den Gedanken mehr gewendet hätten, ob nicht kürzere Wendungen wären getroffen worden, ob nicht manches Wort weggeblieben wäre, was man anfangs für nötig hielt, welches aber eigentlich doch nur unnütze Erläuterung war, wenigstens für den verständigen Leser.
Gleich auf den ersten Wurf so zu schreiben wie z. E. Tacitus liegt nicht in der menschlichen Natur. um einen Gedanken recht rein darzustellen, dazu gehört viel Abwaschen und Absüßen, so wie einen Körper rein darzustellen. Um sich hiervon zu überzeugen vergleiche man nur die ersten Ausgaben der Reflexionen des La Rochefoucauld mit dem späteren (Man sehe die Ausgabe des Abbé Brotier à Paris 1789), so wird man finden was ich gesagt habe.
Wenigstens wird es kaum möglich sein im ersten Wurf so zu schreiben, daß man seine Schriften öfters wieder liest und immer mit neuem Vergnügen. Der Abbé Brotier in eben dieser neuen Ausgabe des La Rochefoucauld drückt sich trefflich aus hierüber: Er sagt Corneille, Bossuet, Bourdaloue, la Fontaine et la Rochefoucauld ont pensé et nous pensons avec eux et nous ne cessons de penser, et tous les jours ils nous fornissent des pensées nouvelles: que nous lisons Racine, Fléchier, Neuville, Voltaire ils ont beaucoup pensé, mails ils nous laissent peu à penser après eux. Tels sont dans les arts Raphael et Michel-Ange, qui ont animé et animent encore tous les artistes. tandis que Guide et le Bernin plaisent, sans qu’il sorte de leurs ouvrages presque aucune étincelle de ce feu qui porte la lumière et la chaleur.
Auch verliert sich der pruritus lucendi und man streicht weg, was bloß des Glanzes wegen dasteht.


Quelle: "Sudelbücher" - Georg Christoph Lichtenberg
Georg Christoph Lichtenberg