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K wie Kaviar

Die deduktive Logik des Feinschmeckers ist die folgende: Kaviar ist selten, also schmeckt er auch gut. Ähnliches wird von der Trüffel, dem Champagner und anderen Leckereien behauptet.
Die bloße Tatsache also, daß etwas selten ist, reicht hin, ihm einen hohen Wert beizumessen. Es ist der Seltenheitswert. Der offensichtliche Schwachsinn solch absurder Wertschätzungs-Kriterien findet seinen Ursprung wohl kaum im Geschmack, sondern vielmehr im Preis eines Produkts. Derjenige, der über genügend Geld verfügt, findet es erhebend, sich etwas leisten zu können, was viele andere sich nicht leisten können. Solche Leute haben denn auch für die weniger Betuchten neben dem Kaviar, den sie konsumieren, gern und schnell folgenden Ratschlag auf der Zunge: ‚Probiert ihn erst gar nicht, er schmeckt euch sowieso nicht.’
Damit geben sie entweder zu, daß er wirklich nicht schmeckt, oder aber sie wollen uns suggerieren, daß die Funktionstüchtigkeit von Geschmackszellen eng mit der Höhe eines Bankkontos korreliert. Diese Menschen sollten daher in Fragen des Geschmacks lieber ihre Kinder zu Rate ziehen, deren Geschmacksnerven in ihrer Unverbrauchtheit über weitaus mehr Nuancen verfügen als die Abgestumpftheit eines Erwachsenengaumens.
Also: Macht es wie eure Kinder und popelt euch den Kaviar einfach aus der Nase. Ihr schont dabei die Bestände des Störs und befreit euch gleichzeitig von einem Zwang, der ebenso unsinnig wie kostspielig ist.


Quelle: "Fletcher's Zynisches Wörterbuch oder Zaungarstige Gedanken"
© Werner Fletcher
Werner Fletcher