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Immer Lehrling. Bildung ist Wille zur Ruhe und zur Einheit mit sich selber, Sehnsucht nach dem Notwendigen und Bleibenden, sie ist »etwas im Innern Waltendes und Schaffendes«, wie es der alte Thiersch schon ausgedrückt hat. Bildung ist niemals am Ende, sondern weiß sich immer als Lehrling. Sich bilden, heißt sich seine inwendige Welt aufbauen, langsam, geduldig, Tag für Tag und Jahr für Jahr.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
Mißverstandene Antike. Es wäre nicht unnütz, einmal eine Geschichte der mißverstandenen Antike zu schreiben. Mißverstandene Antike ist immer Rom. Griechenland ist überhaupt nicht »Antike«, sondern irgendwie Moderne. Römische Antike hat immer etwas von einem pompösen ...
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
Frühreif. Die Sprachverarmung von Montaigne bis Voltaire! Wie ein Klavier, dem die untern und die obern Oktaven fehlen, und das auch in der Mittellage keine schwarzen Tasten hat. Seit dem 15. Jahrhundert keine Mundarten mehr, nur noch Patois ... Zu früh fertig, zu früh >klassisch<. Cette maturité trop précoce (Rivarol) = Adernverkalkung.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
Wir sind davon überzeugt, daß nur die einfachen Werke fortleben; daß nur sie wirklich künstlerisch sind; daß es zum Wesen der Kunst gehört, daß dies vielleicht das Wesen der Kunst ist: zu vereinfachen.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
Geibel. Die Erotik Geibels ist ein convenu. Die moderne Erotik ist auch ein convenu (Kenner Turgenjews entsinnen sich vielleicht der Bemerkung über umgekehrte Trivialitäten): zur Wahl gezwungen, ziehe ich Eau de Cologne immerhin dem Parfüm de Bouc vor. Die Sublimierung der Triebe scheint mir menschlicher als ihre Vergröberung, die verklärte Natur vornehmer als die denaturierte Verklärung.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
Nestroy steht in der deutschen dramatischen Literatur einzig da. Ihm eignet wie keinem andern die inspiration de coinmande. Er hat Einfälle, bei denen man an Labiche denkt, und das ist nicht wenig. Er hat aber auch solche, bei denen man an Meliere denkt, und das ist noch mehr.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
Für heute! Der Kritiker, nicht der Literarhistoriker, hat es mit den Lebenden zu tun; er will wirken, auf den Autor, auf das Publikum; darum wird er oft zum Polemiker, zum Pamphletisten. Lebendiges kann nicht mit den Augen des Historikers gesehen werden, ohne daß sich die Horizonte verschieben, die Linien verwischen, die Entfernungen verzerren, die Dimensionen verfälschen.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955