Insgesamt finden sich 76 Texte im Archiv.
Es werden maximal 7 Texte, täglich wechselnd, angezeigt.
Für heute! Der Kritiker, nicht der Literarhistoriker, hat es mit den Lebenden zu tun; er will wirken, auf den Autor, auf das Publikum; darum wird er oft zum Polemiker, zum Pamphletisten. Lebendiges kann nicht mit den Augen des Historikers gesehen werden, ohne daß sich die Horizonte verschieben, die Linien verwischen, die Entfernungen verzerren, die Dimensionen verfälschen.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
Tradition. Macht die einseitige Naturwissenschaft die Menschen intoleranter als die einseitige Geisteswissenschaft, weil der ersteren Kenntnis und Verständnis der Vergangenheit fehlt?
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
Kein Homer. Welches ist der französische Dichter, in dem sich der Geist, das Wesen seines Volkes konzentriert, wie das deutsche in Goethe, das englische in Shakespeare, das griechische in Homer? Es ist keiner da. Denn wenn Meliere oder Lafontaine diesen Inbegriff darstellen wurden, welches Armutszeugnis wäre das für das Volk.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
Genialität. Es gibt eine höchste erarbeitete Kongruenz von Form und Gehalt, die Genialität vortäuscht; Beispiele Vergil, Racine. Aber beim Genie sind Form und Gehalt nicht kongruent, sondern identisch, und nicht erarbeitet, sondern intuiert. Wie die römische, ist die französische Literatur zwar höchst talentiert, aber typisch ungenial; während es eine typisch geniale Literatur ebensowenig geben kann, wie ein typisch geniales Individuum. Genialität schließt das Typische aus, fällt aus dem Typischen heraus.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
— Die Jahrhunderte widersprechen sich, eine Blütezeit widerlegt die andere; der Geist wehet wo er will, wann er will, warum er will.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
Wagner. Allerdings ist die Ermüdung eine wesentliche Voraussetzung der Wagner’schen Kunst; sie entwickelt die Fähigkeit, durch Klangwogen hypnotisiert zu werden.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
- Jedes Ding hat seine einzig vollkommene Kunstform, seine einzig gemäße innerliche Proportion. Beides herauszufinden ist Sache der genialen Intuition und des ernstesten Nachdenkens. Denn auch dem Künstler erscheint allerlei lügnerisches Gaukelgelichter als Gesicht und Offenbarung.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955