Insgesamt finden sich 76 Texte im Archiv.
Es werden maximal 7 Texte, täglich wechselnd, angezeigt.
Nestroy steht in der deutschen dramatischen Literatur einzig da. Ihm eignet wie keinem andern die inspiration de coinmande. Er hat Einfälle, bei denen man an Labiche denkt, und das ist nicht wenig. Er hat aber auch solche, bei denen man an Meliere denkt, und das ist noch mehr.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
— Man hat das Feuilleton die Unsterblichkeit eines Tages genannt, aber es ist erheblich leichter, über das Feuilleton zu witzeln, als ein lesbares zu schreiben. Dazu gehören immerhin Tugenden, die nicht alltäglich sind: Kenntnis, Sinn fürs Wesentliche, Gefühl für Form und Bau, ein musikalisches Ohr, ein Auge für Licht und Schatten und - es läßt sich nicht verschweigen - Geist, sogar Esprit, jenes Hin- und Herblitzen elektrischer Wellen, das Gegensätze aufleuchten läßt und durch den Funkspruch des Einfalls verbindet. Zum Journalisten muß man geboren sein; man braucht deshalb noch nicht einmal einer zu werden.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
Plagiat. Wie unbekümmert Hofmannsthal herübernimmt, dafür ein Beispiel. »Irgend auf einer Wiese laufen zwei Fohlen. Vielleicht wird eines davon einmal deinen Leichen wagen ziehen, eines den meinigen.« Das ist natürlich bewußt aus Mörike genommen. Nur ein Dichter, der selbst über so einen unerschöpflichen Reichtum an Bildern und Gleichnissen verfügt, darf sich erlauben, was einem ärmeren als Plagiat vorgeworfen würde. Der Begriff des literarischen Eigentums ist auch nicht von den Großen erfunden worden, sondern von den Kleinen.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
Einschränkung. Ich habe manchmal das Gefühl, als lasse sich über eine Literatur nur in der Sprache dieser Literatur schreiben, ungefähr wie man Mozart, Beethoven nur auf einem zeitgenössischen Instrument ganz herausbringt. Französisch würde ich das alles gedämpfter vorbringen, innerlich gemäßer, sachlich schärfer.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
Übersetzungen. Am Anfang germanischer Literatur steht eine Übersetzung: Ulfila; am Anfang neuhochdeutscher Prosa steht wieder eine Übersetzung: Luthers Bibel. Ohne Vossens Homer kein Hermann und Dorothea; und was Schlegels Shakespeare rein sprachschaffend bedeutet, ist nicht abzumessen.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
Land der Prosa. Frankreich ist das klassische Land der Prosa, das Land, in welchem die Prosa klassisch geworden ist. Alles, was irgendwie in die Prosa einschlägt, hat Tradition und Feinheit (Briefe, Memoiren). Was sich vom Grand Siede am besten gehalten hat und heute noch ohne weiteres Genuß bereitet, ist seine Prosa. Eine Erzählung wie die Princesse de Clèves ist in ihrer Art von zeitloser Vollendung.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955
Deutsche Klassik. Die sogenannte klassische Zeit unserer neueren Literatur beschränkt sich, genau betrachtet, auf Goethes und Schillers gemeinsame Jahre von 1795—1805. Was vor diesem Dezennium liegt, was nach ihm kommt, fällt aus dem Rahmen heraus, und was innerhalb dieses Zeitraums von beiden Dichtem geschaffen wird, füllt ihn nicht. ... Und mit dem Augenblick, wo Schiller tot ist, fällt die klassische Suggestion von Goethe ab, wie Zunder, und er wird, was er von je war, was jeder große Schriftsteller von Haus aus ist: ein moderner Autor.
Quelle: "Form ist alles. Aphorismen." Ausgewählt von Ralph Rainer Wuthenow. R. Piper-Verlag, München - 1955