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Jacek Orlowski

* 08.06.1964


Ich bin 1964 in Poczesna bei Częstochowa (dt. Tschenstochau) geboren und dort auch aufgewachsen. Seit langer Zeit lebe ich aber in Krakau, weil es eine Stadt von betörender Schönheit ist und weil dort ein anderer Zeitbegriff und ein besonderes Lebensgefühl herrschen. Kurz und bündig könnte man dies so umschreiben: Was in Krakau wichtig ist, ist z. B. in Hamburg oder München total irrelevant, und was in Krakau unwesentlich ist, ist in München von enormer Wichtigkeit.

Ich bin Diplom-Bauingenieur von Beruf und arbeite als Manager in der polnischen Industrie. Meine Leidenschaft gilt allerdings der Sprachwissenschaft. Damit stehe ich in der Tradition der polnischen Vorkriegsingenieure, die neben dem rein technischen Wissen auch Geisteswissenschaften gerne betrieben hatten.

In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts habe ich mehrere Jahre in München und danach in Ratingen verbracht, wo ich als Bauleiter die Stahlbeton-Rohbauarbeiten ausgeführt habe.Sprachlich hat es mich nicht gerade weitergebracht, weil ich in den deutschen Straßen zu viel schlechtes Deutsch gehört habe. Deswegen habe ich mich entschieden, die deutsche Sprache außerhalb Deutschlands zu praktizieren, um ihre Reinheit nicht durch die inkorrekte Alltagssprache zu gefährden, an der ich irregeworden bin. Die Krakauer Varietät des Deutschen war mir schon lieber.

Ich bin des Polnischen, Russischen, Deutschen und Englischen mächtig. Ich frage mich manchmal, wer europäischer ist: Ein Hamburger, ein Münchener oder ein Pole, der in einem kleinen Dorf bei Tschenstochau aufgewachsen ist, und nun das deutsche Sprachkulturgut mit seinen deutschen Aphorismen bereichert, die kein deutscher Muttersprachler in der ganzen Geschichte der deutschen Sprache jemals so formuliert hat? Es ist schon eine eigenwillige europäische Geschichte, wenn man bedenkt, dass mein Großvater mütterlicherseits, Wenzel (Wacław) Kasprzyk, im April 1940 von der Gestapo festgenommen und wegen seiner politischen Ansichten ins KZ Dachau deportiert worden ist und sein Enkel nun die deutsche Literatur in Form von Aphorismen mitgestaltet.

Da stellt sich auf Anhieb die Frage: Wo sind die Münchner oder Hamburger Bauingenieure, die die polnische Sprache um selbstkreierte polnische Sinnsprüche reicher machen, weil sie talentiert genug sind, das Polnische literaturtauglich zu beherrschen? Wo sind sie geblieben? Es gibt keine einfache und eindeutige Antwort auf so gestellte Fragen, aber sie sind schon berechtigt und überlegenswert, wenn wir an ein gemeinsames und zukunftsfähiges Europa denken wollen. Ich persönlich könnte auf interkulturelle Querverbindungen innerhalb Europas nicht verzichten, die ostwestlich verlaufen.

Ich schreibe seit zwanzig Jahren an einem polnisch-deutschen Wörterbuch, das zur Zeit ca. 35 000 A-4-Seiten umfasst.Der Sinn meiner linguistischen Arbeit besteht darin, die Unterschiede zwischen der deutschen und polnischen Sprache herauszustellen und durch zahllose Beispiele zu belegen. Auch ist es mir gelungen, anhand zahlreicher Beispiele nachzuweisen, dass die Muttersprache die Mentalität und die Stimmungsanfälligkeit der Menschen bestimmen kann, indem sie sie zwingt, bei manchen Aussagen auf eine nicht emotionsneutrale Weise zu denken.

Die meisten Deutschen, die mich kennengelernt haben, fragen mich, wo ich denn die polnische Sprache gelernt habe. Dadurch bringen sie mich natürlich in Bedrängnis und eine unumgängliche Identitätskrise, die ich nur mit einem desillusionierenden Vortrag über meine Herkunft bewältigen kann.

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© Jacek Orłowski

Zitate von Jacek Orlowski

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Geld allein macht nicht glücklich ist eine gute Nachricht für die überwältigende Mehrheit der Menschen und eine ganz schlechte für die verschwindend kleine Minderheit.


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Wichtig ist nicht, wie du lebst, sondern ob du lebst.


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Der Tod bedeutet nicht das Ende einer großen Liebe.


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Man-selbst-Sein wird als Schlüssel zum psychischen Komfort angesehen, dabei wären wir bestimmt viel glücklicher, wenn wir alle so täten, wie wenn wir bessere Menschen wären, als wir in Wahrheit sind.


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Ehrlich zu sein, wenn sich Unehrlichkeit nicht lohnt, ist eine logische Kosten-Nutzen-Analyse, keine Moral. Moral fängt erst da an, wo sich das Ehrlichsein nicht lohnt und man trotzdem ehrlich bleibt.


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Es gibt gute Erfahrungen im Leben und schlechte – beiden ist etwas abzugewinnen.


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Entfernung wird an der Qualität des Weges gemessen.


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